Waldorfpädagogik

Was ist Waldorfpädagogik?

Der Direktor der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria in Stuttgart, Emil Molt, hatte zu Beginn dieses Jahrhunderts Rudolf Steiner gebeten, für die Arbeiter und Angestellten der Fabrik Volksbildung zu vermitteln. Er hatte ein tiefes menschliches Interesse daran, daß seine Mitarbeiter eine Bildung erhalten sollten, um die Kluft zwischen Bürgertum und Proletariat, die ja in erster Linie eine Bildungskluft ist, auszugleichen.

Von diesen Menschen kam der Wunsch nach einer neuen Schulbildung für ihre Kinder. Emil Molt war bereit, entsprechendes Kapital zu beschaffen und seine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Rudolf Steiner berief aus den verschiedenen Berufszweigen fähige Persönlichkeiten und bildete sie zu Waldorf-Lehrern aus.

Die Schule wurde 1917 gegründet und bekam 1921 ihren ersten Neubau.

Gründung der ersten Waldorfkindergärten Die ersten Kindergärten wurden nach dem Tod Steiners gegründet. Frau Dr. Caroline von Heydebrand, eine der ersten Waldorf-Lehrerinnen, hatte von ihm noch Anregungen erhalten.

Der Kindergarten begleitet etwa die zweite Hälfte der ersten 7 Jahre des Kindes bis zur Schulreife. Die Waldorfpädagogik will die leibliche und seelische Gesundheit des Kindes fördern und hinterfragt die Wirkung und die Folgen der Erziehung für das spätere Leben, z.B. im späteren Leben auftretende Erkrankungen.

Bildekräfte

Wenn das Kind geboren wird, sind seine Organe noch nicht fertig ausgestaltet. Das Gehirn hat z.B. noch kaum Strukturen. Die Kräfte, die die Formgestaltung des Kindes hervorbringen, nennt Rudolf Steiner u.a. „Bildekräfte“. Die Umwelt im weitesten Sinne wirkt anregend, helfend oder störend (bis verstörend) auf diese feinen Kräfte-Zusammenhänge, die für das moderne Bewußtsein zunächst nur als Wirkung erkennbar sind.

Je länger an einem Organ gebildet werden kann, um so vollkommener sind seine Gestalt und Funktion. Damit der bildsame, kindliche Organismus nicht zu früh verhärtet und lange bildsam bleibt, brauchen diese formenden, schöpferischen Kräfte besonderen Schutz und Pflege:

Eurythmie

Die in Waldorfeinrichtungen unterrichtete Bewegungskunst Eurythmie greift die Gesetzmäßigkeit dieser Bildekräfte auf und fördert harmonisierend die Gestaltung und das Wachstum des Kindes. Aus den Kräften der Nachahmung und seiner individuell mitgebrachten Veranlagung „einverleiblicht“ sich das Kind seine Umwelt. Seine noch ungeschützte Seele nimmt „hellfühlend“ und „hellhörend“ alles auf, was gedacht, gefühlt oder getan wird.

In seiner grundlegenden Schrift „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft“ schreibt Rudolf Steiner: „Es bilden sich in Gehirn und Blutumlauf die physischen Anlagen für einen gesunden moralischen Sinn, wenn das Kind Moralisches in seiner Umgebung sieht … Wenn es aber vor dem 7. Lebensjahr nur törichte Handlungen in seiner Umgebung sieht, so nimmt das Gehirn solche Formen an, die es im späteren Leben auch nur zu Torheiten geneigt machen…”

Jede Form und jede Farbe trägt in sich bestimmte Gestaltungskräfte, die harmonisierend oder kränkend wirken, weshalb die in den Waldorfeinrichtungen eine große Rolle spielt.

Gleichzeitig verinnerlichen sich auch die eigenen Bewegungsabläufe des Kindes. So verwandelt sich z.B. das Üben körperlichen Gleichgewichts (wie Stelzenlaufen) in seelisches Gleichgewicht. Das Bauen einer Brücke mit verschieden geformten Holzklötzchen fordert abwägende Geschicklichkeit und Konzentration und läßt die Kräfte von Tragen und Lasten erleben und verinnerlichen, was später der Statiker oder Architekt braucht und was wir alle brauchen: Ein abwägendes Denken. Viele seelische Erkrankungen hängen oftmals mit in der Kindheit nicht geübten Bewegungsabläufen zusammen.

Rhythmus

Rhythmus, wie ein regelmäßig gegliederter Tageslauf; das Erleben des Jahreszeitenlaufes mit seinen Festen; ein freies, schöpferisches Tun; das Erzählen einer Geschichte über vier Wochen (was u.a. Tiefe veranlagt) und vieles andere mehr sind Hilfen, die innere Sicherheit und seelischen Halt veranlagen. Das wollen wir hier aber nur andeuten. Das Wichtigste dabei bleibt das Vorbild des Erziehenden: Erziehung ist Selbsterziehung!

Die wesentliche Frucht dieser ersten ungefähr sieben Jahre soll ein gesunder Wille sein (nicht der, der andere tyrannisiert). Und der braucht eine gesunde Organbildung, wozu auch die Sinne gehören.

Rudolf Steiner berücksichtigt in seiner Sinneslehre Willenslähmungen, Langeweile, „hab keinen Bock“, sind bedenkliche Zeiterscheinungen. Eine Lebensgrundstimmung wird in diesen Jahren veranlagt, und alle spätere Entwicklung gründet darauf.

Willensbewegung verwandelt (metamorphoisiert) sich in Gemütsbewegung und später in Denkbewegung:

  • Klarheit im Denken
  • Innigkeit im Fühlen
  • Besonnenheit im Wollen

Das wird dann von der Schule aufgegriffen, damit der Mensch werden kann, was ihm würdig ist. Karl König (er hat besondere Verdienste auf dem Gebiet der Heilpädagogik) nennt das „ein erkennendes, sich selbst ertragendes Wesen“.

Verkürzt kann man sagen:
Waldorfpädagogik ist eine praktische Anwendung der von Rudolf Steiner begründeten antroposophischen Geisteswissenschaft, deren Erkenntnismethode die naturwissenschaftliche Erkenntnisgrenze über die Sinne hinaus erweitert.